Eine rockende EAV und ein kranker Ambros auf Tollwood
Ist das noch Trunkenheit? Oder sind das bereits die Folgen von Krankheit und Alterung, warum Wolfgang Ambros im Tollwood-Musikzelt über die Bühne schwankt, mehr lallt als singt, Textpassagen vergisst und auch mal den falschen Gitarrenakkord greift?
Während der ersten Songs scheint darum der Zuschauerstrom nicht zu reißen, der enttäuscht das Gipfeltreffen der Austropop-Ikonen Erste Allgemeine Verunsicherung und Ambros nach einem gefeierten EAV-Konzert verlässt. Weil selbst die Missstände noch immer bestehen, die die EAV seit mehr als dreißig Jahren anprangert, konnte deren Gemisch aus alten Hits und neuen Songs eine staunenswerte Unvergänglichkeit suggerieren, während der Auftritt von Ambros verdeutlicht, dass selbst die Götter sterblich sind.
Dabei hatte EAV-Sänger Klaus Eberhartinger noch gewarnt, dass er pünktlich die Bühne verlassen müsse, weil sonst „der Wolferl“ unangenehm werden könnte. Trotzdem ließ das Publikum die Rock-Comics-Band nicht ohne Zugaben gehen. Zu erfrischend empfand es wohl auch die pointierten Moderationen des Sängers. Als er der neuen Trachtenmode auf entsprechenden Partys eine gleiche Nähe zur tatsächlichen Tracht zusprach wie dem Arschgeweih zum Rotwildhirschen, lachten sogar die, die beides tragen. Dass die EAV aber auch eine hervorragende Rockband ist, wird in ihrer Außenwirkung gerne unterschätzt. So hatte der Moderator Jürgen von der Lippe ihren Fernsehauftritt schon mal mit der Behauptung angekündigt, dass Kabarettisten, die nicht einmal vom Bayerischen Rundfunk gesperrt würden, ihren Beruf verfehlt hätten. Damals weigerte sich der BR, das Anti-AKW-Lied „Burli“ von der EAV zu spielen, weil die darin beschriebenen Missbildungen eines radioaktiv verseuchten Neugeborenen die Gefühle von Menschen mit Behinderungen verletzen würden. Dass der Song Jahrzehnte später auf Tollwood auch von Menschen mit Behinderungen gefeiert wird, konnte der Boykott zum Glück nicht verhindern.
Mit Ambros‘ Auftritt bricht dann die Stimmung im Tollwood-Zelt. Nicht einmal seine Band kann den wahrscheinlich Betrunkenen auffangen. Andererseits ist ihm der Song „Schaffnerlos“ selten so ergreifend gelungen wie in dieser kaputten Version eines erlöschenden Rockstars: „Schaffner sein, des woar amoi wos! Die Zeit is vorbei. Heit foahr ma schaffnerlos“, singt er, derweil seine Band schaffnerlos durchs Programm rast. Zu Recht darf Ambros darum in der trotzdem eingeforderten Zugabe singen: „Zwickts mi. I glaub i dram.“ Verwirklicht wird solcher Traum von Fans, die ihrem Idol auch in schweren Zeiten beistehen, weil sie wissen, dass Ambros seine besten Lieder in Wahrheit schon immer aus solchem Abgrund schöpft, der diesmal auf der Bühne sichtbar wird. So nämlich können Sex and Drugs and Rock’n’Roll auch ausschauen.
Von Dirk Wagner, SZ
©SZ vom 30.06.2015